Volkskirche – Kirchenreform – Bischof Hanke

Ein Bericht und eine große Reportage in der SZ vom 23. Oktober 2018 stellen den Bischof Hanke aus dem Bistum Eichstätt vor, von dessen Verwaltung rund 50 Millionen Euro in amerikanischen Immobiliengeschäften versenkt wurden. Mich interessiert nun weniger die Tatsache, dass da 50 Millionen verpulvert wurden, sondern die Erklärungen, die Bischof Hanke zu seiner Verantwortung abgibt. Er sagt, er sei mit der Aufsicht über das Finanzgebaren seiner Verwaltung überfordert gewesen; sein Finanzchef, der ehemalige Caritasdirektor, ein Priester, war offensichtlich den Umgang mit dem großen Geld gewohnt – den Bischof hat man am liebsten außen vor gelassen, wenn es um Entscheidungen ging. Er bemüht sich jetzt, sachliche Aufklärung durch externe Fachleute zu betreiben. „Bischof beklagt mangelnden Reformwillen in der Kirche“ ist die Überschrift des Berichts – der Reformwillen fehle seinen Priestern, seiner Verwaltung.

Ich möchte aus diesem Anlass einige Überlegungen zur Möglichkeit der Reform der katholischen Kirche vortragen: Diese Reform kann es praktisch nicht geben, weil sie sich gegen Jahrhunderte kirchlicher Geschichte durchsetzen müsste:

  • Vom Bischof erwartet man quasi, dass er aufgrund seiner Weihe auch alle seine Aufgaben erfüllen kann – sachlich darauf vorbereitet wurde der Mönch Hanke nicht. Das gilt auch für die Priester, die in die Seelsorge geschickt wurden (ich spreche von der Zeit, die ich aus eigener Erfahrung kenne: die in den 60er und 70er Jahren geweihten Priester): Wie sie mit Sterbenden umzugehen haben, wie sie Kinder unterrichten sollten, was man den Bettlern sagen und geben kann, die regelmäßig an der Tür der Kaplanei schellen, was man für Arbeitslose tun kann – alles Fehlanzeige. Es gab ein bisschen Predigttraining und viel Sexualmoral, ansonsten würde es „die Weihe“ der von der „Welt“ abgeschottteten Seminaristen schon richten.
  • Dieses mit dem Zölibat unnötig und verhängnisvoll verknüpfte überhöhte Weihepriester-Bild bestimmt die Theorie und Praxis der „Seelsorge“: Die Laien sind die Schafe, die der gute Hirt (Pastor) zu leiten und betreuen hat. Dessen Fehltritte werden vertuscht.
  • Auf die innere Umkehr der Christen wird verzichtet, wenn sie nur dem Aufseher-Pastor folgen, vor allem in der Sexualmoral; der hat stellvertretend Christlichkeit vorzuleben.
  • Dem entspricht die Verdinglichung der Eucharistie in der Lehre der Transsubstantiation, in der Betonung des opus operatum des geweihten Priesters, der sozusagen Gewalt über Gottes Gegenwart besitzt, überhaupt die ganze Sakramentenlehre und -praxis.
  • In der Priesterausbildung wurde die Soziallehre und die Pastoraltheologie als lästige Nebensächlichkeit betrachtet; wichtig waren Dogmatik, Kirchengeschichte, Kirchenrecht, Moraltheologie und Bibelexegese – kurz: die Theorie.
  • Das alles muss man als Einheit begreifen, die unter dem Stichwort „Volkskirche“ beschrieben werden kann: Das ganze Volk ist einfach „christlich“ und bleibt damit zwangsläufig in einer Vorhofreligion, wie G. Mensching sagte.

Wie soll da eine Reform möglich sein, ohne dass die Amtsinhaber erheblich von ihren Sockeln heruntersteigen müssten und die Laien erheblich ihre eigene Christlichkeit zu ergreifen hätten, dass also alle sich erheblich zu bewegen hätten? Wer die Trägheit und die Gesetze der Schwerkraft kennt, wird das kaum für möglich halten.

Stichwort „Volkskirche“:

https://www.evangelisch.de/inhalte/86871/22-07-2013/zulehner-die-zeit-der-volkskirche-ist-vorbei

https://www.ndr.de/kirche/Das-Kirchenlexikon-Volkskirche,gesellschaft214.html

https://www.katholisch.de/aktuelles/aktuelle-artikel/abschied-von-der-volkskirche

https://www.zeit.de/2018/06/erzbistum-hamburg-schulden-schliessung-katholische-schulen

http://www.lutherische-bekenntnisgemeinde.de/Volkskirche%20oder%20Bekenntniskirche.htm

Zu Hanke/Eichstätt:

https://www.sueddeutsche.de/bayern/eichstaett-kirche-finanzaffaere-1.4180050

https://www.tagesschau.de/inland/katholische-kirche-immobilien-103.html

http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/katholische-kirche-finanzskandale-haeufen-sich-15449049.html

https://www.ksta.de/politik/finanzskandal-bistum-eichstaett-hat-es-den-betruegern–brutal-leicht-gemacht–29632970

https://www.dw.com/de/bistum-eichst%C3%A4tt-kampf-gegen-kontrollverlust-bei-finanzen/a-42468366

Katholizismus – Rückblick auf die gescheiterte Reform(ation)

Über die Vorgeschichte der Reformbemühen, die ich seit 1961 erlebt habe, kann man sich unter den Stichwörtern „Modernismus“ und „Linkskatholizismus“ informieren:

https://de.wikipedia.org/wiki/Modernismus_(Katholizismus)

https://de.wikipedia.org/wiki/Neo-Modernismus

http://www.bible-only.org/german/handbuch/Modernismus.html

http://www.kathpedia.com/index.php?title=Modernismus

https://de.wikipedia.org/wiki/Linkskatholizismus

https://www.youtube.com/watch?v=Wl2R7jyVz_g

Das Zweite Vatikanische (1961-1965) entwickelte eine eigene Dynamik, als es dort zu einem Kampf zwischen Konservativen und progressiven Bischöfen und Theologen kam; in der Aufbruchstimmung glaubten viele an eine Reform der katholischen Kirche:

http://www.kathpedia.com/index.php?title=Zweites_Vatikanisches_Konzil

https://de.wikipedia.org/wiki/Zweites_Vatikanisches_Konzil

https://www.dbk.de/themen/zweites-vatikanisches-konzil/

Offiziell wurde die Reform in Deutschland in einer gemeinsamen Synode der deutschen Bistümer angepackt:

https://de.wikipedia.org/wiki/W%C3%BCrzburger_Synode

https://wuerzburger-synode.jimdo.com/

http://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/Synoden/gemeinsame_Synode/band1/synode.pdf

Die wirklich kritischen Impulse kamen von „unten“ – und sie verliefen letztlich im Sand, weil es keine zentrale Organisation neben der kirchlich-offiziellen und keinen Kurfürsten von Sachsen gab, der die Reformer kirchenpolitisch und finanziell über Wasser gehalten hätte; lockere Solidaritätsgruppen überleben eben nicht:

https://de.wikipedia.org/wiki/82._Deutscher_Katholikentag (Essen 1968)

http://www.zeit.de/1968/37/die-linken-frommen-auf-dem-marsch (Bedeutung)

http://www.akr-regensburg.de/: „Der Aktionskreis Regensburg ist eine im Jahr 1969 entstandene Vereinigung von Priestern, „laisierten“ Priestern und „Laien“ in der Diözese Regensburg. Der AKR ist inspiriert vom Geist des II. Vatikanischen Konzils und nimmt sich die Freiheit – aus Liebe zur katholischen Kirche – nötige Reformen anzumahnen.“

http://www.aktionsgemeinschaft-rottenburg.de/agr-agp.htm Die AGP hat sich aufgelöst!

https://de.wikipedia.org/wiki/Kritischer_Katholizismus

So leben die kritischen Impulse (u.a. die SOG-Papiere) fort:

http://www.imprimatur-trier.de/

http://www.imprimatur-trier.de/hefte.html

https://www.publik-forum.de/ ist ein Wässerlein, in dem noch der alte Reformgeist tröpfelt.

Da ich kein Insider mehr bin, kann ich nur von außen beobachtend sagen: Die Reformbestrebungen sind im Wesentlichen verebbt; der gegenwärtige Papst Franziskus bemüht sich um religiöse Erneuerung, die sicher wichtig ist, aber die vor 50 Jahren erstrebten Reformen nicht ersetzen kann. Ernsthafte kritische theologische Debatten über die Fixierung des Christlichen in orientalischen Mythen und griechischer (und später lateinischer) Philosophie gibt es nicht. Und die Volkskirche, die ihr eigenes Leben in der sozialen Integration vor Ort führt, verliert in Europa immer mehr an Bedeutung: die Welt von gestern. Bedeutsam ist die Kirche nur noch in der Kulturgeschichte Europas.