Was ist Dialektik? Antworten im www

Was ist Dialaktik? Das habe ich mich schon oft gefragt, habe auch in einigen Büchern und bei einem Aachener Privatdozenten keine befriedigende Antwort auf meine Frage erhalten. Nachdem ich heute an Erich Heintels „Grundriß der Dialektik“ (Bd. I, 1984) verzweifelt bin [Warum kann dieser Mensch nicht verständlich sagen, was er meint?], habe ich mich im Netz umgeschaut: die ersten 60 Links bei google und zur Ergänzung die ersten 60 Links bei swisscows – da gab es in der Tat noch einiges, was google nicht hatte. Was also ist Dialektik (= D.)?

Unter D. wurde in der Geschichte der abendländischen Philosophie Verschiedenes verstanden, so dass man nicht von einer einheitlichen Bedeutung des Begriffs der D. ausgehen kann. Obwohl die einzelnen Traditionslinien nicht bezuglos nebeneinanderstehen, muss man unterscheiden zwischen folgenden Hauptformen: (1) das Verständnis der D. in der Antike – bei Platon und Aristoteles – als Kunst des Argumentierens und Beweisens; (2) die Auffassung der D. in den transzendentalphilosophisch-idealistischen Philosophien Kants und Fichtes; (3) die Stellung der D. als Grundstruktur und Methode im objektiven Idealismus Hegels; (4) die Transformation dieser D. zur Methode der Gesellschaftskritik und dem Entwicklungsprinzip der Geschichte (Marx) sowie der Natur (Engels); schließlich (5) die Rekonstruktions- oder Rechtfertigungsversuche der D. in der Gegenwart.

So fängt der erste verlinkte Text an: lesenswert, ebenso wie die anderen fett gedruckten Links:

https://www.spektrum.de/lexikon/philosophie/dialektik/448 (sehr gut, fast vollkommen verständlich)

https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/ERZIEHUNGSWISSENSCHAFTGEIST/DialektikAllgemein.shtml (nicht so gut, teilweise zu knapp)

https://dewiki.de/Lexikon/Dialektik (umfangreich, historisch orientiert, meist verständlich) = https://de.wikipedia.org/wiki/Dialektik

https://archive.org/details/logischeuntersu07trengoog/page/n54/mode/2up?view=theater (Trendelenburg: Logische Untersuchungen, Bd. 1, 1870: Darstellung und fundamentale Kritik Hegels)

https://archive.org/details/berdiedialekti02hart/page/n3/mode/2up?view=theater (E. von Hartmann: Über die dialektische Methode. 2. Aufl. 1910)

https://www.reiner-winter.de/dialektik/ (ähnlich, Verteidigung der Dialektik, Ablehnung des Schemas These-Antithese-Synthese; Winter firmiert als „Philosoph“, s. https://www.reiner-winter.de/)

http://braidt.de/PDF/Dialektik.pdf (Dialektik. Lehre vom Widerspruch – u.a. Auseinandersetzung mit der Kritik der Logiker, Verteidung der Dialektik; das sind über 100 Seiten, die ich ehrlich gesagt noch nicht gelesen habe. Braidt ist ein Privatgelehrter, s. http://braidt.de/index-Dateien/Page405.htm)

http://www.philolex.de/aufsatz6.htm (viel zu knapp, auf der Ebene unverstandener Sprüche → Versuch der Vertiefung: http://www.philolex.de/aufsatz6.htm#k03, anschaulich, aber simpel)

https://www.100komma7.lu/article/wessen/dialektik-was-ist-das (saloppe Sprache, verständlich, neue Aspekte, etwas verengt)

https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Dialektik (schwer bis kaum verständlich – man muss schon alles wissen, um dieses hier zu verstehen)

https://www.thur.de/philo/as141.htm (Schwerpunkt auf Schelling – Hegel – Ken Wilber, anschließend zur Bedeutung der Dialektik)

http://www.sinistra.net/lib/bas/promet/veka/vekaoduded.html (stramm kommunistisch: Die dialektische Methode)

http://www.mlwerke.de/me/me20/me20_481.htm (Engels über die Dialektik der Natur)

http://www.vordenker.de/ggphilosophy/popper_was-ist-dialektik.pdf (Konfrontation der Dialektik mit der Trial-and-error-Methode; Kritik der Dialektik Hegels, sehr klar)

https://d-nb.info/1205372695/34 (Über den Ursprung der Hegelschen Dialektik)

https://www.philosophie.uni-muenchen.de/lehreinheiten/philosophie_1/personen/puntel/download/1996_2007_klaerung_dialektik.pdf (Hegels Dialektik wird logisch zerpflückt; anspruchsvoll)

https://zeithistorische-forschungen.de/2-2004/4387 (zum Buch „Dialektik der Aufklärung“, glänzend)

https://www.deutschlandfunkkultur.de/martin-mittelmeier-freiheit-und-finsternis-dialektik-als-100.html (Besprechung eines kritischen Buches über „Dialektik der Aufklärung“)

https://www.rdklabor.de/wiki/Dialektik (Darstellungen der Dialektik vom Mittelalter bis zum Barock)

http://www.hansgunia.de/images/PDF/Dialektik%20Vortrag.pdf (verschiedene Begriffe von Dialektik, ihr Einsatz in der Therapie)

https://www.management-circle.de/blog/eristik-dialektik/ (Dialektik im Rhetorik-Lexikon)

https://henke.brainedia.com/2019/05/dialektik-als-didaktisches-prinzip/ (Dialektik als didaktisches Prinzip des Philosophieunterrichts)

Nachträglich sehe ich, dass ich vor zehn Jahren schon einen ähnlichen Versuch wie diesen unternommen habe: https://also42.wordpress.com/2011/09/15/was-ist-dialektik-kommentierte-links/; es wäre zu prüfen, welche der alten Links noch funktionieren.

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Sehr geehrter Herr Dr. Winter,

Ihr Dialektik-Aufsatz ist sehr klar geschrieben; bei der Lektüre habe ich zum ersten Mal wirklich verstanden, was Hegel unter Dialektik versteht. Sie scheinen der Ansicht zu sein, dass Hegel mit diesem Konzept von Dialektik die Wirklichkeit begreift. Dazu möchte ich einige Bedenken vortragen.

1. Die Dialektik von Leben und Tod gibt es nicht; denn es gibt „das Leben“ und „den Tod“ nicht – es gibt nur Lebewesen, deren Leben irgendwann aus verschiedenen Gründen endet (es gibt auch ganz einfache Wesen, die potenziell nicht sterben, sondern sich teilen, aber das beachten wir als Grenzfall nicht). Dann nennen wir sie tot und ihr Körper verwest, wird gefressen, wird verbrannt usw. – was von ihnen übrig ist, ist letztlich Materie, die möglicherweise wieder von anderen Lebewesen für deren Leben assimiliert wird, möglicherweise aber auch anders umgeformt wird (versteinert, verkohlt usw.). Hier hat also nicht das Leben „den Tod“ in sich aufgenommen, sondern (möglicherweise) hat ein Lebewesen sich Stoff einverleibt, diesem Stoff eine neue Form gegeben. So dumm das klingt, die Veränderungen lassen sich mit dem alten Begriffspaar Form – Stoff besser erklären als mit der Dialektik von Leben und Tod; denn das Lebewesen mit dem assimilierten Stoff (der Schakal, der Wurm…) steht ja nicht auf einer höheren Stufe als das verstorbene, sondern macht nur seinen eigenen Lebenszyklus durch, genauso wie das verstorbene Lebewesen seinen Lebenszyklus gehabt hat.

Noch eine Bemerkung zum Tod: Der Stoff unseres Leibes ist in steter Veränderung begriffen, und diese Veränderungen hören auch mit seinem „Tod“ nicht auf, sondern gehen als Zerfallsprozesse weiter. Wann „der Tod“ eintritt, ist, wie Sie wissen, umstritten und letztlich eine Frage der Definition – und diese Definition besagt dann: Ein Körper ist gestorben und mit diesem Körper darf oder soll man jetzt dies und das machen; „tot“ ist der Titel einer Legitimation, einen Menschen zu begraben, ein Schwein in seine Teile zu zerlegen und zu verwursten… Ein Wesen kann tot sein, ohne dass es „den Tod“ gäbe. Es gibt nur Lebewesen, die sterben und die wir irgendwann für tot erklären: wenn das Prinzip dieses Lebewesens (früher sagte man „Seele“, aber damit wurde nur eine Organisationsform als Substanz begriffen) nicht mehr die Form seines Stoffes ist. Der Stoff hat (zumindest relativ) Bestand und kann vorübergehend in verschiedene andere Organisationsformen neu eingebunden werden, ohne dass er damit auf eine höhere Stufe gerückt würde.

Wie die ersten Lebewesen entstanden sind oder neue Organisationsformen entstehen, wird weder durch das Denkschema „Dialektik von Leben und Tod“ noch durch das Schema „Stoff und Form“ erklärt. Theologisch kam hier der Schöpfer zum Zug, der eben Neues und Seelen erschafft.

2. Auch die Dialektik von künstlich und natürlich lässt sich nicht halten – der von Ihnen gezeigte Umweg über „Der Mensch ist ein Teil der Natur“ ist ein Trick. Wenn man „natürlich“ und „künstlich“ so definiert: Natürlich ist das, was ohne Zutun des Menschen entstanden ist oder entsteht, und künstlich ist das, was mit Zutun des Menschen entsteht, dann sehen Sie, dass es zwar ein Allgemeines gibt; man kann „entstanden“ als Gattung mit zwei Arten annehmen, mehr aber nicht. Dass allem, was entsteht, ein Stoff zugrunde liegt, ist klar (es sei denn, man denkt einen Schöpfer, s.o.) – ob etwas nun mit oder ohne Zutun des Menschen entsteht. Aber auch der Stoff ist nicht das umgreifend Allgemeine, weil er ja die verschiedenen Formen des Entstehens nicht in sich enthält. Die Entstehung neuer Sterne, also neuen Stoffs liegt außerhalb der uns bekannten Denkschemata.

3. Dass des Herrn Engels geerntete Körner auf einer höheren Stufe stehen als die gesäten, ist Unsinn: Es sind bloß mehr Körner, die ihrerseits (teilweise) wieder Saatkörner werden, so dass wir hier einen Zyklus vor uns haben, aber keine Dialektik; und dass man die Pflanze eine Negation des Saatkorns nennt, ist eine bloße Wortspielerei: Beide gehören in den Zyklus des Wachsens und haben da ihren festen Platz; nur wir geben ihnen mit den Wörtern „Korn“ und „Pflanze“ scheinbar eine Eigenexistenz, obwohl sie nur Phasen im Zyklus sind (wobei man die Körner eine Zeit lang lagern kann, aber auch nicht ewig – künstlich, also durch Zutun des Menschen). Der Zyklus bleibt i.W. gleich, ein späterer Zyklus steht nicht höher als ein früherer, es sei denn, er habe sich genetisch besser an die Umwelt angepasst; aber auch damit steht er nicht höher, sondern eben nur angepasster da.

Wenn es eine Negation des Korns gibt, dann ist es nicht die Pflanze, sondern das Mehl, zu dem man das Korn verarbeitet hat. Aber das Mehl oder das Brot ist auch nicht das übergreifend Allgemeine, welches neue Körner aus sich entließe – in dem Moment, wo der Mensch in Zyklen des Wachsens eingreift, hören die Zyklen und erst recht die vermeintliche Dialektik auf.

Freundliche Grüße,

Norbert Tholen

Hegel über die Gutmenschen

Über die Stufe des Weltgenießers erhebt man sich, wenn das Individuum dadurch mit Welt und Geschichte eines werden will, „daß das Gesetz des eigenen (individuellen) Wesens, das [von Hegel] als Gesetz des Herzens bezeichnet wird, auch zum Gesetz des Weltwesens wird. Das ist die Bewußtseins-Stufe der Weltverbesserer: was sie alle erstreben, was ihnen „am Herzen liegt“, ist „das Wohl der Menschheit“, sie alle sind beherrscht von dem Wunsche und Willen, das Gute, das in ihnen selbst lebt, zu verwirklichen, die „Welt“, in der sie das Schlechte herrschend sehen, umzugestalten, die starre Notwendigkeit des Weltlaufes und des Schicksals zu brechen. Allein diese Weltverbesserer müssen ebenso scheitern wie die Weltgenießer. Nicht nur, daß auch bei ihnen der individuelle Wille an der überlegenen, aber unbegriffenen, Notwendigkeit und dem Schicksale sich bricht, an dem festen Gefüge der Welt, das ihrer abstrakten Forderung spottet: sie scheitern auch an sich selbst und durch sich selbst, durch die Zwiespältigkeit ihres eigenen Wesens. Denn in Wahrheit sind auch diese Weltverbesserer Weltgenießer; nur daß eben für sie der Weltgenuß in dem Selbstgenuß besteht, welchem die Welt als Folie dient: das Individuum befriedigt und gefällt sich in dieser Erhabenheit über die Welt, und um so mehr, je schärfer es dem Weltelend das eigene „gute Herz“ und dessen Verlangen kontrastieren kann. So schlägt die Begierde, das Gesetz des Herzens zu verwirklichen, wie Hegel sagt, in „den Wahnsinn des Eigendünkels“ um, der alle Dinge tief unter sich, und darum alles verkehrt sieht.“

M. Kronenberg: Die Geschichte des Deutschen Idealismus, Bd. II, 1912, S. 723 (Referat von Hegels „Phänomenologie des Geistes“)

Kronenberg: Geschichte des Deutschen Idealismus, Bd. II

ERSTER TEIL: Der neue Platonismus

Im zweiten Band der „Geschichte des Deutschen Idealismus“ (1912) wird zuerst die Erkenntnistheorie Kants in relativ einfachen Worten vorgestellt: „Es handelt sich also um die stufenweise Beantwortung der Frage: worin besteht das Wesen jener einheitlichen Verknüpfung, welche aus Empfindungen eine Anschauung, aus Anschauungen einen Begriff, aus Begriffen ein Urteil, aus Urteilen Gesetze und aus Gesetzen endlich ein System der Erkenntnis macht?“ (S. 28) Diese Frage wird von Kronenberg insgesamt verständlich beantwortet, ohne dass Kants Lösung irgendwie problematisiert würde; dabei zeigen sich mir durchaus Probleme bei den Kategorien oder beim Sinn einer Vorstellung reiner Naturgesetze. Dass die Ideen von Seele, Welt und Gott nur regulierende Prinzipien sind, leuchtet jedoch ein. Schließlich wird Kants Vernunftkritik als der zeitgemäße Platonismus gefeiert (S. 72 ff.).

Danach wird Kants Ethik schrittweise entfaltet: Begriff „gut“, Wille, Motiv, Grundsätze (Maximen) – Gesetze (Form des Gesetzes) – der kategorische Imperativ. So kommt Kronenberg zur Formulierung: „Sittlichkeit ist Gesetzlichkeit ohne Gesetz; d.h. ohne bestimmtes Gesetz.“ (S. 91) Es folgt der Begriff der Pflicht, der Achtung vor dem Gesetz und der Autonomie des Willens, worauf Kronenberg eine Reihe möglicher Formulierungen des kategorischen Imperativs anbietet: „Handle rein vernunftgemäß. Handle aus Pflicht. Handle rein menschlich. Handle im Bewußtsein der Freiheit.“ u.a.

Am Begriff der Freiheit (S. 99 ff.) wird noch einmal die Eigenart der Kantischen Ethik vorgeführt: Kant muss neben dem empirischen einen intelligiblen Charakter postulieren, um Freiheit denken zu können; dass aus der Tatsache sittlichen Handelns folge, dass es Freiheit gibt, ist jedoch ein Trugschluss, weil sittliches Handeln empirisch nicht erweisbar ist. So bleibt Freiheit ein Postulat der praktischen Vernunft.

Im Menschen gibt es das radikal Böse; deshalb sehnt die Vernunft sich nach Erlösung. Die kann nur in moralischer Umkehr = Neuschöpfung des eigenen Selbst gelingen. Der Glaube richtet sich darauf, was in der Wirklichkeit nicht zu finden ist, aber dennoch erstrebt wird und möglich sein muss. Das kommt in den Ideen Unsterblichkeit und Gott zum Ausdruck. Es kann demnach nur eine einzige wahrhaft religiöse Gemeinschaft geben; die Religionen verfälschen das Streben nach wahrer Sittlichkeit durch wertlose Äußerlichkeiten: „Alles, was man außer dem guten Lebenswandel noch tun zu können vermeint, um Gott wohlgefällig zu werden, ist bloßer Religionswahn und Afterdienst Gottes.“

Von Kant zu Fichte:

Kant wurde zunächst nicht verstanden und schrieb deshalb die „Prolegomena“ (1783) als eine exoterische Darstellung, die sich der Naturphilosophie annäherte.

Hamanns Kritik der KrV war noch vordergründig, aber Jacobi (Über den transzendentalen Idealismus) fragte mit Recht, wie gegenüber der reinen Vernunft überhaupt ein Ding an sich bestehen könne: „Und so ist überhaupt unsere ganze Erkenntnis nichts als ein Bewußtsein verknüpfter Bestimmungen unseres eigenen Selbst, woraus auf gar nichts anderes geschlossen werden kann.“

Reinhold gab dem Kantschen Denken eine schulmäßige Form, aufbauend auf den Begriffen Bewusstsein und Vorstellung (1787/88); den dadurch aufgezeigten Dualismus Kants kritisierte Aenesidemus (1792). Maimon zog die Konsequenz, dass die reine Subjektivität alles ist (Versuch über die Transzendentalphilosophie,1790) und das Ding an sich undenkbar ist; Ding und Ich sind nur Grenzbegriffe. Der Mensch ist ein werdender, soll Persönlichkeit werden, indem er das Besondere immer mehr verallgemeinert.

Fichtes Erkenntnislehre

Für Fichte ist dann das Ich eins und alles: Der Glaube des selbständigen Menschen ans sich selbst ist unmittelbar. Das absolute Ich hat mit dem empirischen nichts gemein, ist reines Selbstbewusstsein, nicht bestimmt, unendlich, ist reine Tätigkeit und darin reflexiv und frei, nur für sich. → Frage: Wie ist Erfahrung („Wissenschaft“) möglich?

Als angeschautes ist das Ich sein Nicht-Ich, die sich wechselseitig begrenzen. Das Ich entäußert sich durch seine produktive Einbildungskraft ins Nicht-Ich. Damit ist das Objektive aus dem Ich abgeleitet.

Das scheinbar Objektive ist eine Form der (beinahe) bewusstlosen Entäußerung, die reflektiert zur Empfindung wird, die reflektiert zur Anschauung wird (Ich vs. Objekt, das als „Vorbild“ zum Nachbild im Ich wird), die als reflektierte zum Begriff des Verstandes wird; die Urteilskraft verbindet dann Begriffe; die reflektierte Urteilskraft ist die Vernunft als höchste Stufe des Selbstbewusstseins.

Fichtes Ethik

Der Mensch ist vom Streben nach immer mehr Freiheit und Selbstbewusstsein bestimmt. Stufen: Trieb – Gefühl – Reflexionstrieb – Produktionstrieb – Bildungstrieb – absoluter Trieb.

Fichtes Religionslehre: Die moralische Ordnung ist selbst Gott. Allgemeine Menschenliebe = Religion. Gott ist dasjenige, was der von ihm Begeisterte tut.

Der praktische Idealismus Fichtes und Kants

Hier werden die Unterschiede beider Ethiken dargestellt; Kant ist Kosmopolit, Fichte Nationalist: Das deutsche Volk habe eine weltgeschichtliche Mission; dank Fichtes Geist habe Deutschland im Freiheitskrieg gesiegt.

ZWEITER TEIL: Der neue Spinozismus

Das ist die Gegenbewegung zum Idealismus (ab 1770), er wird von Dichtern vertreten.

Lessin fragt, was reines Christentum ist, das er weder in der Kirche noch in der Bibel findet. Es ist Geist, der sich dem Buchstaben entzieht und daher nur in der Parabel sich zeigen kann: Die Substanz, die wahre Menschlichkeit, zeigt sich nur in Akzidentien: Sie entwickelt sich auch durch „Irrtümer“ in einer Erziehung des Menschengeschlechts.

Dieses Kapitel zeigt deutlich (wie schon die drei vorherigen) die Schwäche des Verfahrens Kronenbergs: Er paraphrasiert in immer neuen Wiederholungen, wodurch manches eingeprägt, aber nicht klar wird; man kann den Text überfliegen. Das bleibt auch im Folgenden der Fall.

Danach wird der Spinoza-Streit referiert. Kronenberg erwägt, warum der Spinozist Lessing sich nicht klar zu Spinoza bekannt hat, außer im Gespräch mit Jacobi. Es kam nach Lessings Tod zum Streit zwischen Jacobi und Lessings Freund Mendelssohn, der als Aufklärer Spinoza und Jacobi nicht verstanden habe.

Der Pantheismus des Gefühls

Im Kampf zwischen Geist und Objekt (Natur) als letzten Größen entscheiden Herder und Goethe sich für die Natur: eine Gegenrevolution gegen den Sturm und Drang. Sie beginnt mit dem Weltschmerz (z.B. im „Faust“), führt über eine Mystik (auf Gott oder Natur hin) zur Hingabe an das All. Herder schwankte zwischen Gefühl und Verstand; es wird seine Entwicklung zum Spinozismus der Natur dargestellt. Den Menschen zeichnen aufrechte Gestalt und Vernunft aus, er muss sich zum Humanität bilden, vgl. die Gedichte „Ich“ und „Das Selbst“.

Goethe war die umfassendste Persönlichkeit. Er verehrte das Objektive als das Göttliche. Er suchte das Urphänomen der Tiere und der Pflanzen und deren Metamorphosen. Die Grundlage der Charakterbildung ist die Selbsterkenntnis des Werdenden, zu der die Selbstbehauptung gehört.

DRITTER TEIL: Übergang zur Identitätsphilosophie. Klassizismus und Romantik

Kants Philosophie des Zweckes

Zweck der Geschichte: Kant (die Gattung) vs. Herder (das Individuum). – Die transzendentale Urteilskraft verbindet nach Kant reine und praktische Vernunft: Ich ordne Erscheinungen den Ideen unter, durch Reflexion: → subjektive (ästhetische: Lust am Schönen, weitere Differenzierungen!) oder objektive (teleologische: Einsicht in die Organismen) Zwecke. Erkenntnis der Zwecke hat nur heuristische Bedeutung.

Schiller war der Dichter des Erhabenen, auf dem Weg von der Natur zur Freiheit (→ Posas Opfertod → Weltliebe). Durch den Ackerbau erhebt der Mensch sich zur Freiheit, in der Arbeit der Generationen. In der Kunst erblickt der Mensch das Geistige in sinnlicher Einkleidung, sie führt zur reinen Wahrheit („Die Künstler“). Kants „Kritik der Urteilskraft“ (1790) erhebt ihn: Das Tragische ist der Gipfel des menschlich Erhabenen. Selbstbestimmung = Schönheit = Freiheit in der Erscheinung.

Der Klassizismus mit der Hinwendung zu den Griechen und ihrer Harmonie des Lebens ist das Ergebnis dieser Einsicht; Goethe fand die Schönheit in Italien. In der Anmut sind Freiheit und Natur, Pflicht und Neigung verbunden. Im Antagonismus der Kräfte muss eine neue Einheit gefunden werden, durch den Spieltrieb. (Seine Theorie der Dichtung wird referiert.) Goethe als Pendant Schillers, Gedicht „Das Ideal und das Leben“ als Fazit.

Die ältere Romantik wendet sich von der klassischen Harmonie zum Zwiespalt von Subjekt-Objekt, zum Schwanken zwischen den Polen. Rückwendung zum Christentum, Liebe zur Musik. Friedrich Schlegel ist der Theoretiker der Romantik; romantische Ironie. Verwechslung des empirischen und transzendentalen Ich.

Schelling versöhnt Spinoza mit Fichte im absoluten Ich: Alles Objektive ist Subjektivität. Von Goethe übernimmt er die intellektuelle Anschauung der Natur. Die Natur ist Vorstufe der menschlichen Bewusstseinsstufen, sie ist vom Gesetz der Polarität bestimmt (Anziehung – Abstoßung). Die Weltseele will zu sich selbst kommen.

Die universalistische Romantik

Für Schleiermacher ist die Einheit von Subjekt und Objekt praktisch realisierbar: in Ethik und Religion, das reine Subjekt wird eins mit der unendlichen Substanz (wie in der Mystik). Diese Religion hat nichts mit Kirchen zu tun, auch nicht mit Gott oder Unsterblichkeit.

Novalis findet das Absolute in der Kunst (Poesie), durch die die Liebe offenbar wird.

Schellings Identitätsphilosophie sucht die Einheit von allem zu denken: Individualität – Sittengesetz – Rechtsordnung – Staat – Geschichte sind die Stufen der Entwicklung. Die Polarität komme in der Kunst zur Ruhe, vgl. „Wald und Höhle“ (Faust I). Bedeutung des Mythos; Schelling versinkt in der Tiefe des Absoluten.

VIERTER TEIL: Hegels Universalsystem

Hegels Epoche: Fichtes Ich und Herders Philosophie der Geschichte, aber auch Goethe und Schiller wirkten auf Hegel: Das Individuum soll sich an der Geschichte (Aktivität der Griechen, Passivität der Juden, Christentum mit der Schönheit der Seele) orientieren, ihre Urphänomene begreifen: Entwicklung als Übergang der Gegensätze ineinander. Das Unendliche wird eins mit der absoluten Vielheit.

Die Phänomenologie des Geistes

Vorher bereits hat Hegel gesehen: Die religiöse Einheit der Seele mit Gott ist in den Gegensatz von Glauben und Wissen zerfallen; im Idealismus dringt der Glaube wieder siegreich in das Wissen ein, scheitert aber noch in der Reflexionsphilosophie, welche die letzte Identität verfehlt.

In der Phänomenologie sucht er auch das Negative durch die Arbeit des Verstandes ins Absolute einzubinden, in eine letzte Identität: ewiges Wechselspiel von Entzweiung und Einheit. Das niedere Element wird in der Entwicklung aufgehoben (beseitigt – bewahrt – emporgehoben).

Es gelingt Herrn Kronenberg nicht, die Gedanken Hegels in der Phänomenologie als einen Gedankengang darzustellen. Es bleibt bei der Beschreibung einzelner Stücke – ich breche hier die Lektüre des Buches ab.

https://archive.org/details/geschichtedesdeu02kron (Moritz Kronenberg: Geschichte des Deutschen Idealismus, Bd. II, 1912)

Hannah Arendt: Vom Leben des Geistes. Band 2: Das Wollen (Inhalt)

Ich orientiere mich an Hannah Arendt: Vom Leben des Geistes. Band 2: Das Wollen (SP  705, 2. Auflage 1989) und referiere den Inhalt.

Einleitung

Hannah Arendt erklärt die Problemsituation (Vermögen des Willens war den Griechen unbekannt) und ihr Vorgehen (S. 9 ff.).

I Die Philosophen und der Wille

1 Die Zeit und die geistigen Tätigkeiten

Hannah Arendt schließt kurz an Band 1 an (S. 14 ff.). Darauf bezogen definiert sie den Willen als geistiges Organ für die Zukunft, während das Gedächtnis für die Vergangenheit zuständig ist; in der Zukunft haben wir es mit Projekten statt mit Objekten zu tun (S. 16 f.). Aristoteles konzipierte den Begriff des Zufälligen, unter den gewollte Handlungen fallen (S. 17); mit dem Begriff der Potenzialität (das Entstehende ist/war potenziell immer da) wird indirekt die Zukunft als authentische Zeitform geleugnet – Aristoteles brauchte den Willen nicht zu kennen (S. 18). Er kennt zwar proairesis (Wahl), den Unterschied zwischen absichtlichen und unabsichtlichen Handlungen (S. 19); aber da die zyklische Bewegung alles Lebendigen auf die menschlichen Verhältnisse übertragen wird, kann auch die Zeit als zyklisch statt geradlinig verstanden werden (S. 19 f.). Erst im Christentum wird mit der Schöpfung und v.a. mit der Erlösung die Geschichte zu einer Abfolge einmaliger Ereignisse; so entdeckt Paulus als erster den Willen und die Freiheit (S. 21). Vorchristlich war Freiheit Ich-kann statt Ich-will (S. 22).

2 Der Wille und die Neuzeit

In der Neuzeit tritt der Wille erst am Ende an die Stelle der Vernunft als höchste geistige Funktion des Menschen, um 1800 (S. 22 f.). Höhepunkt dieser Entwicklung ist Nietzsches Gedanke der ewigen Wiederkehr, ein Rückgriff auf die Antike zur höchsten Bejahung der Welt (S. 23 f.). Jaspers greift Nietzsche auf: „Nur meinem Wollen kann sich das dem Wissen unzugängliche Sein offenbaren.“ (S. 25) Heidegger hat zunächst in der Zukunft und der Sorge das Sein erschlossen gesehen, hat später dem Willen Tribut gezollt, sich dann jedoch den frühen griechischen Denkern zugewandt (S. 25).

3 Die Haupteinwände gegen den Willen in der nachmittelalterlichen Philosophie

Die Existenz dieses Vermögens wurde geleugnet mit dem Argument, es beruhe auf Schein: wir seien uns zwar unserer Handlungen bewusst, aber nicht ihrer Ursachen (S. 26 f.). Für Hobbes u.a. war das Gefühl der Freiheit ein Schein (S. 27 ff.). Drittens schien die Kontingenz menschlicher Entscheidungen eine Erniedrigung zu bedeuten, der man entgehen wollte (S. 30 f.).

4 Das Problem des Neuen

Die Einwände der Philosophen beziehen sich i.W. auf den Willen als Organ für Zukunft: für die Möglichkeit, etwas Neues zu beginnen (S. 31 ff.). Bergson hat gesehen, dass in der Rückschau eine frei zustande gekommene Handlung ihren kontingenten Anstrich verliert; für das wollende Ich ist jedoch die Notwendigkeit künftigen Geschehens eine Bewusstseinstäuschung (S. 33 f.). Jedenfalls schien der freie Wille sowohl mit der göttlichen Vorsehung wie mit dem Kausalgesetz unvereinbar zu sein (S. 35).

5 Der Zusammenstoß von Denken und Wollen: die Tonalität der Geistestätigkeiten

Der Fatalismus negiert die Zukunft, indem er sie als notwendig geschehend in die Vergangenheit einbindet (S. 37 f.). Die Zukunft als Plan des Willens negiert jedoch das Gegebene (S. 39); die Stimmung des wollenden Ich ist Ungeduld (S. 39). Das denkende Ich ist durchweg von Heiterkeit erfüllt, das wollende Ich ist angespannt wegen der Unsicherheit des Kommenden, begierig auf das Handeln, zwischen Furcht und Hoffnung (S. 40 f.).

6 Hegels Lösung: die Geschichtsphilosophie

Bei Hegel stoßen das denkende und das wollende Ich zusammen. Einmal ist er der erste, der eine Philosophie der Geschichte konzipiert; durch den Rückblick des denkenden Ichs wird sie erinnert und verstanden. Anderseits propagiert er den Vorrang der Zukunft, die das Sein beenden und vollenden wird, wonach das vollendete Sein zur Vergangenheit gehört – ein Zeitablauf, der zum wollenden Ich passt (S. 42 f.). Die Zeit entsteht durch die dem Geist innewohnende Ruhelosigkeit, seine Pläne und die Negation des Gegenwärtigen; die Erfüllung der Zeit ist jedoch die Ewigkeit, der Übergang des Geistes vom Wollen zum Denken (bei Hegel wie bei Plotin, S. 46 f.). Ausgangspunkt ist Hegels Erleben der Französischen Revolution, wo Grundsätze und Gedanken verwirklicht worden waren: die Versöhnung des Göttlichen mit der Welt (S. 47 f.). – Hegel hat die reale Versöhnung seiner Zeitspekulationen mit der Geschichtsphilosophie nicht geschafft (S. 49 ff.).

II Die Entdeckung des inneren Menschen

7 Das Wahlvermögen: proairesis, der Vorgänger des Willens

Leitfrage: Welche Erfahrungen führten den Menschen vor Augen, dass sie zu Willensakten fähig sind? (S. 54) Arendt rechnet damit, dass sich in der Geschichte der Geist (nicht jedoch das Gehirn) tatsächlich ändert (S. 55).

Aristoteles sucht das, was in der Seele den Anstoß zur Bewegung gibt (S. 56 ff.). Nun ist das Handeln selbst eine vernünftige Tätigkeit (S. 58). Es bedarf der überlegten Vorausplanung, die Aristoteles proairesis nennt: Wahl als Vorziehen einer Möglichkeit. Es vermittelt zwischen den Antriebskräften der Vernunft und der Begierde; Gegenteil der überlegten Wahl ist pathos (S. 59). Die vernünftige Überlegung richtet sich auf die Mittel, mit denen man Ziele erreicht. Mit proairesis kann Aristoteles denken, dass das Handeln absichtlich geschieht, nicht gewaltsam unter dem Druck allein der Begierde oder der Vernunft (S. 60). – Im Lateinischen heißt dieses Vermögen liberum arbitrium (S. 61).

8 Der Apostel Paulus und die Ohnmacht des Willens

Paulus beschreibt im Römerbrief, dass die Zwei-in-einem Kampfhähne sind. Angesichts des Gesetzes tue ich nicht, was ich will, sondern was ich hasse (S. 63). Jesus predigte noch das (verschärfte) Gebot der Gesetzeserfüllung (S. 65 f.); Paulus erkannte, dass das Gesetz unerfüllbar ist, dass der Wille zu seiner Erfüllung einen anderen Willen aufruft; deshalb verlagert er den Schwerpunkt auf das Glauben statt auf das Tun (S. 66). Das Gebot stellt vor die Wahl: Ich-will oder Ich-will-nicht; der gespaltene Wille bedarf einer Versöhnung, weil er sich selbst behindert – „Fleisch“ ist die Metapher für den inneren Widerstand, „Fleisch“ wird nie durch Gesetzeserfüllung, sondern nur im Glauben an den Gekreuzigten überwunden (S. 66 ff.). Wie kann Gott die durch sein Gesetz erzeugte menschliche Verderbtheit zulassen? Darauf weiß Paulus nur die Antwort Hiobs: Es kommt dem Menschen nicht zu, solches verstehen zu wollen (S. 70 f.).

9 Epiktet und die Allmacht des Willens

Arendt zeigt zunächst Gemeinsamkeiten von Paulus und Epiktet auf (S. 71 ff.). Epiktet rät, sich von der Wirklichkeit abzuwenden; denn man ist gegenüber dem Notwendigen schwach – also muss man mit seinen Eindrücken von der Welt sorgsam umgehen (S. 74 f.). Man darf nichts wollen, was man nicht erreichen kann, und muss deshalb die Dinge, die in unserer Macht stehen, von denen unterscheiden, die nicht in unserer Macht stehen (S. 76). Was die Menschen in Mitleidenschaft zieht, ist nicht das, was ihnen widerfährt, sondern ihr eigenes Urteil darüber – also muss man sich von allem Widerwärtigen willentlich distanzieren; zudem muss man das wollen, was geschieht. Kriterium des rechten Verhaltens ist also, ob es einem gelingt, mit sich selbst zufrieden zu sein (S. 79 f.). Der Philosoph betrachtet sich selbst als seinen eigenen Feind, wenn er nicht sein Wollen kontrolliert; er liegt im Zwiespalt mit sich selbst – das ist seitdem eine menschliche Existenzbedingung (S. 81). Das ist die große Entdeckung Epiktets: das Vermögen, ja oder nein zu sagen, sofern es um die eigene Person geht (S. 81).

10 Augustinus, der erste Philosoph des Willens

Augustinus hat lange über die Freiheit des Willens nachgedacht. Die Leitfrage war zunächst: Was ist die Ursache des Bösen? (S. 85) In jedem Willensakt liegt ein Ich-will und Ich-will-nicht; der Wille ist nicht kausal erklärbar (S. 87). Die Spaltung liegt im Willen selbst: Wille ist ein Konflikt, kein Zwiegespräch. Der Wille, der sich an sich selbst wendet, ruft den Gegenwillen wach. In den „Bekenntnissen“ wird dieses Rätsel nicht gelöst (bis S. 94).

Erst später geht Augustinus unter einer neuen Leitfrage das Problem an: Welche Rolle spielt der Wille im Leben des Geistes? (S. 95) Nachdem er die Dreifaltigkeit Gottes als wechselseitig prädizierte Beziehung unabhängiger Substanzen gedacht hat, überträgt Augustinus das Modell auf die Struktur des Geistes: Die Vermögen Gedächtnis, Verstand und Wille sind drei Vermögen, aber ein Geist; jedes ist in den anderen enthalten und bezieht sich auf sich selbst zurück. Ihre Einheit kommt durch den Willen zustande (S. 96 f.). So kann man ihn als die Triebfeder des Handelns verstehen; der Wille wird von seinem Zwiespalt erlöst, indem er aufhört zu wollen und anfängt zu handeln (S. 98). Der Wille findet seine Erlösung durch die Verwandlung in Liebe, eine Art fortdauernden Wollens; dadurch kommt das Schwanken der Seele zur Ruhe (S. 101 f.).

Wie kann Gottes Allwissenheit neben dem menschlichen freien Willen bestehen? Da für Gott die Zeitordnung nicht existiert, ist dies kein Problem (S. 104 ff.). Gott schafft die Zeit mit der Welt; in der Zeit erschafft er den Menschen, der einen neuen Anfang darstellt und bewusst auf ein Ende zuläuft; so konnte der mit dem Vermögen des Wollens und Gegenwollens ausgestattet werden – eigentlich müsste Augustinus sagen, dem Menschen komme die Freiheit zu.

III Wille und Verstand

11 Thomas von Aquin und der Vorrang des Verstandes

Es geht Thomas nur um die Beziehung zwischen Vernunft und Willen: Welches der Vermögen hat den Vorrang vor dem anderen? Für beide ist das Sein das letzte Ziel; aber der Verstand ist höher als der Wille, weil dem Wollen ein Erkennen vorausgeht. Des Menschen höchstes Glück ist die Erkenntnis Gottes durch den Verstand – ergo ist der Verstand das höchste Vermögen des Menschen (bzw. umgekehrt) (S. 112 ff.).

12 Duns Scotus und der Vorrang des Willens

Für ihn ist der Verstand die dienende Ursache des Willens (S. 120). Scotus unterscheidet den Willen, der den natürlichen Neigungen folgt, vom freien Willen (S. 127).  Einer der Eckpunkte von Scotus’ Denken ist die Kontingenz, die mit der Schöpfung aus dem Nichts zu tun hat (S. 129 ff.); die Willensfreiheit besteht darin, einen Standpunkt einzunehmen. Vermittels des Willens kann der Mensch alles transzendieren, ein Zeichen seiner Ebenbildlichkeit. Der Begriff der Kontingenz stößt sich mit dem Gedanken der Notwendigkeit; der Widerspruch löst sich in der Unterscheidung von Wollen des Zukünftigen und Rückblick auf das notwendig Gewordene.

Hannah Arendt legt noch dar, wie Scotus eine Lösung des alten Problems der Freiheit findet, soweit es sich aus dem Vermögen des Wollens ergibt (S. 135 ff.). Der Wille ist undeterminiert, solange er Willensakte vollführt; wenn er eine seiner Möglichkeiten in die Tat umsetzt, verliert er seine Freiheit. Wenn der Wille in Liebe übergeht, erreicht er seine Vollendung; er wird zu einer Tätigkeit, die um ihrer selbst willen ausgeführt wird („factivum“); er hat Freude am Wollen selbst, das reine Tätigkeit geworden ist (frui, genießen, vs. uti, gebrauchen).

IV Schluss

13 Der deutsche Idealismus und die „Regenbogenbrücke der Begriffe“

(In diesem Abschnitt erklärt Hannah Arendt, warum sie die Willensspekulationen des Deutschen Idealismus nicht berücksichtigt.) Der neuzeitliche Begriff des Fortschritts wird gemäß einer Einsicht Pascals durch die Idee der Menschheit als Subjekt des Fortschritts ergänzt (S. 144 ff.). Die Französische Revolution erschien als Beleg dafür, dass Neues in die Geschichte eintreten kann – aber es zeigte sich auch, dass dies in einem Gemisch aus Irrtum und Gewalt geschah, dass der Sinn sich erst nachträglich entdecken lässt, wenn die Menschen nicht mehr handeln, sondern zu erzählen beginnen (S. 146 f.). Jedenfalls wurde dadurch die Aufmerksamkeit auf den Willen als Organ der Zukunft und Triebfeder des Handelns gelenkt (S. 147). Der Wille wurde zu einem umfassenden metaphysischen Prinzip erklärt – eine gewaltige Personifikation; hinter dem Rücken der Menschen schienen körperlose Geister zu wirken – wie Nietzsche erkannte, wirkte hier letztlich die Sehnsucht nach einer anderen Welt, der griechischen (S. 148 ff.).

14 Nietzsches Verwerfung des Willens

Nietzsches Philosophie besteht aus Gedankenexperimenten. Er entdeckt das Wollen als ein Befehlen; das Ich setzt sich dann mit dem befehlenden Ich gleich und übersieht das gehorchende (S. 153 ff.). Vorstellung, dass unser Lebensdrang und unser Wille zum Wollen dasselbe sind (S. 156), vgl. „Wille und Welle“ (S. 156 f.). In „Das größte Schwergewicht“ kehrt Nietzsche versuchsweise zum antiken zyklischen Zeitbegriff zurück: Sich und dem Leben gut werden, das kann man nur, wenn man die ewige Wiederkunft bejaht (S. 158 f.). Dieses Experiment ist dadurch veranlasst, dass der Wille mit der Vergangenheit zusammenstößt: Er kann nicht zurück wollen, das Vergangene ist ihm entzogen (S. 160). Der Wille transzendiert in jedem Fall das Gegebene (S. 161); in Voraussicht des Vergangenseins der Zukunft wird die Vergangenheit jedoch die maßgebliche Zeitform und mit ihr die ewige Wiederkunft (S. 163 f.).

15 Heideggers Wille zum Nicht-Wollen

(Dieser Abschnitt ist schwer zu lesen, weil es neben Heideggers Kehre auch noch verschiedene Deutungen der Kehre gibt. – Die Kehre wandte sich ursprünglich gegen den Willen zur Macht; in der Neudeutung der Kehre macht Heidegger das Denken zu einer Funktion des Seins, S. 164 ff.) In der ersten Deutung der Kehre erscheint der Wille zur Macht (als Wille zum Herrschen) als Höhepunkt des modernen Subjektivismus, der auf Vernichtung und Verwüstung hinausläuft (S. 168 f.). Dagegen preist Heidegger das Seinlassen als Tätigkeit des Denkens, das dem Ruf des Seins folgt (S. 170). Denken sei dasselbe wie Danken (S. 173) – in dem Sinn werden die alten Begriffe der Sorge, des Todes und des Selbst umgedeutet (S. 173 f.). Aus der Stimme des Gewissens wird ein umfassender Schuldgedanke: dass der Mensch in seiner Existenz verschuldet weil geschuldet ist (S. 175 f.). Der Denker ist derjenige, der sich des Wollens entwöhnt und dem Seinlassen anheimgegeben hat (S. 178).

Es gibt dann noch eine Neudeutung der Kehre im Aufsatz „Der Spruch des Anaximander“ (S. 178 ff.): Das Werden ist jetzt der Gegensatz des Seins (S. 181 f.), der Tod der Retter des Wesens des Menschen (S. 183). – Zum Schluss weist Arendt darauf hin, dass Heideggers Kritik des Selbsterhaltungstriebs als eines willentlichen Aufstands gegen die Ordnung der Schöpfung ein besonders origineller Gedanke ist (S. 185).

16 Der Abgrund der Freiheit und der novus ordo saeculorum

Die Philosophen, welche über Freiheit philosophieren, lieben die Welt, wie sie ist, weil sie Ruhe zum Denken brauchen; der Wille mit seinen Zukunftsplänen rüttelt dagegen an den bestehenden Verhältnissen (S. 185 ff.). – Arendt geht zum Begriff der politischen Freiheit über (S. 189). Die ist immer ein Ich-kann im Rahmen von Gesetzen; sie kommt dem Bürger zu und kann sich nur in Gemeinschaften zeigen (S. 189 f.), ist damit beschränkt.

Es gibt zwei abendländische Gründungslegenden, die römische und die jüdische, welche den Anfang der eigenen Gemeinschaft erklären wollen (S. 193 ff.); sie lösen das Problem aber nicht, ebenso wenig wie die modernen Staatsgründer (S. 197 f.). Auch der Rückgriff auf die Neugründung Trojas in Rom löst kein Problem. Vergil sieht in der 4. Ekloge vielleicht die Rettung der Welt darin begründet, dass die Menschheit sich fortwährend neu bildet (S. 202). Ansonsten lebt die Freiheit in der politischen Theorie in utopischen Versprechen eines endgültigen Reiches der Freiheit (S. 203 ff.). Nur Augustinus hat den Ansatz einer Lösung mit seiner Theorie, dass Gott den Menschen geschaffen habe, um einen Anfang möglich zu machen (S. 206 f.).

Anhang: Das Urteilen. Auszüge aus Vorlesungen über Kants politische Philosophie

Es gibt inzwischen Hannah Arendt: Das Urteilen. Texte zu Kants politischer Philosophie (Piper 1985, als Taschenbuch erneut 2012); deshalb verzichte ich auf eine Referat der Auszüge.

Stichworte: Wille, Wollen

http://de.wikipedia.org/wiki/Freier_Wille

http://www.textlog.de/5436.html (Eisler: Wille)

http://www.zeno.org/Eisler-1904/A/Wille (dito, mit Verlinkungen)

http://www.sgipt.org/hm/hm_wiwu.htm (Wünschen und Wollen, psychologisch)

http://www.neuro24.de/show_glossar.php?id=1794 (Wille, psychologisch)

http://www.diss.fu-berlin.de/diss/servlets/MCRFileNodeServlet/FUDISS_derivate_000000008974/Dissertation_von_Songuel_Demir.pdf (Was heißt es, einen Willen zu haben? Diss)

Stichwort: Willensfreiheit

http://www.zeno.org/Eisler-1904/A/Willensfreiheit (Eisler: Willensfreiheit, Geschichte des Problems bis 1900)

http://kops.ub.uni-konstanz.de/bitstream/handle/urn:nbn:de:bsz:352-opus-116331/Wille_Seebass.pdf?sequence=1 (Art. „Wille, Willensfreiheit“ in TRE)

http://www.wissiomed.de/mediapool/99/991570/data/Freier_Wille_in_der_Geschichte_der_Philosophie_und_Religion.pdf (Freier Wille in der Geschichte der Philosophie)

http://www.schmidt-salomon.de/willensfreiheit.pdf (Können wir wollen, was wir wollen?)

http://www.spiegel.de/spiegel/a-336006.html (P. Bieri über die Willensfreiheit)

http://www.philosophieverstaendlich.de/freiheit (Haben wir einen freien Willen?)

= https://pub.uni-bielefeld.de/download/2306223/2306226 (neuere Version: A. Beckermann, sehr übersichtlich)

http://www.philosophieverstaendlich.de/freiheit

http://www.bibelwissen.bibelthemen.eu/wiki/index.php/Vorherbestimmung_und_eigener_Wille (Vorherbestimmung und freier Wille – religiös)

http://www.zum.de/ki/Willensfreiheit.htm (Willensfreiheit und Neurobiologie)

http://www.zjs-online.com/dat/artikel/2008_1_23.pdf (Willensfreiheit im Strafrecht)

http://www.information-philosophie.de/?a=1&t=242&n=2&y=1&c=1 (Tugendhat: Willensfreiheit und Determinismus)

http://www.mpiwg-berlin.mpg.de/Preprints/P285.PDF (A. Gierer: Willensfreiheit, erkenntniskritisch)

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http://www.philosophie.hu-berlin.de/institut/lehrbereiche/anthro/mitarbeiter/keil/publikationen/pdfs/C43%20Volltext (Geert Keil: libertäre Konzeption der Willensfreiheit)

http://digbib.ubka.uni-karlsruhe.de/volltexte/documents/1809555 (E. Sauter: Willensfreiheit und deterministisches Chaos, Diss)

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https://philosophenblog.wordpress.com/willensfreiheit/ (Laura)

http://www.martin-morgenstern-phil.de/nicolai-hartmann/nicolai-hartmann-und-seine-zeitgenossen/willensfreiheit/index.php (N. Hartmanns Theorie)

http://www.spektrum.de/lexikon/neurowissenschaft/willensfreiheit/14020

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https://www.theologie-naturwissenschaften.de/startseite/leitartikelarchiv/willensfreiheit.html (W. Achtner)

https://www.dasgehirn.info/aktuell/hirnschau/die-willensfreiheit-ein-irrtum-3859 (Vortrag)

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http://www.sgipt.org/gipt/allpsy/wollen/fw_tds04.htm (psychol.)

http://scienceblogs.de/hier-wohnen-drachen/2013/02/19/willensfreiheit-und-determinismus-warum-ich-das-problem-nicht-verstehe/ (polemisch)

http://www.alexander-klier.net/wp-content/uploads/2012/08/Seminararbeit-Willensfreiheit-und-Indeterminismus.pdf (Willensfreiheit und Indeterminismus, Seminararbeit)

http://campus.uni-muenster.de/fileadmin/einrichtung/egtm/pbsurvey/Willensfreiheit.pdf (Willensfreiheit in neurowissenschaftlicher Betrachtung)

http://www.geschkult.fu-berlin.de/e/relwiss/lehrende/lehrstuhl_zinser/zenk/Zenk_Nietzsches_Kritik_der_Willensfreiheit.pdf (Nietzsches Kritik der Willensfreiheit, Magisterarbeit)

http://bernhard-hassenstein.de/literatur_online/Willensfreiheit-und-Verantwortlichkeit (Hassenstein)

http://www.home.uni-osnabrueck.de/uwmeyer/Paper/Roth.Habermas.pdf (U. Meyer, zu Roth/Habermas)