Nach den Forschungen zum → Bewusstsein bin ich der Frage nachgegangen, was Selbstbewusstsein ist und worin es gründet. Dabei bin ich auf das sogenannte Ich gestoßen, das unweigerlich mit dem Selbstbewusstsein verbunden ist, und umgekehrt genauso. Ich denke, man kann gut von den Beständen ausgehen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts – also nach einer langen philosophischen Tradition und bereits intensiver psychologischer Forschung – in den philosophischen Wörterbüchern dokumentiert sind.
Selbstbewußtsein ist, als Correlat des Außenweltsbewußtseins, das Bewußtsein des eigenen Selbst, des Ich als des einheitlichen, permanenten, mit sich identischen, actionsfähigen Subjects individueller Erlebnisse. Das Selbstbewußtsein entwickelt, expliciert sich parallel mit dem Außenweltsbewußtsein durch immer weiter gehende Unterscheidung des ursprünglich noch wenig differenzierten Bewußtseinsinhaltes und durch Selbstbesinnung, Reflexion des Denkens auf sich selbst. Zunächst erfaßt das Subject sich als Object unter Objecten, als Leib, gegeben in einem bestimmten festen Zusammenhange von Empfindungen, Gefühlen, Strebungen. Die Tatsache der größeren Constanz des Leib–Complexes, ferner die Erscheinung des Schmerzes, der »doppelten Tastempfindung« beim Berühren des eigenen Leibes, die größere Herrschaft über den Leib bezüglich der Bewegung u.s.w., ferner das sociale Moment des Verkehrs mit andern Subjecten lassen das (im Ichgefühl ursprünglich wurzelnde) Selbstbewußtsein zu einem immer deutlicher werdenden Wissen um ein Selbst sich entwickeln. Der Unterscheidungsproceß geht allmählich dahin, das Selbst immer mehr zu centralisieren, immer mehr aus der Vielheit in die Einheit zu ziehen, immer formaler werden zu lassen. Gilt zuerst der lebendige, beseelte Leib als das Selbst, so wird später das Selbst durch einen einheitlichen Complex von Bewußtseinsinhalten, Vorstellungen vertreten, um schließlich auf das wollend-denkende Subject, auf den vorstellenden Willen sich zu concentrieren, der nun bewußt alles andere sich als Object gegenüberzustellen vermag. Das Selbstbewußtsein ist nicht Spiegelung eines hinter dem Bewußtsein steckenden unbekannten Wesens, sondern es ist ein sich in sich als Selbständiges setzendes, seiner unmittelbar als Realität Gewisses, nur aber niemals in seiner absoluten Totalität und Reinheit empirisch Gegebenes, Erkanntes, sondern über alles Gegebene stets hinausragend, lebendige Actuosität, Actualität, die sich selbst immer wieder fixiert (s. Ich, Subject). Selbstbewußtsein ist auch das Bewußtsein eines Erlebnisses, Tuns als Zustand, Betätigung des Ich, also (urteilende) Beziehung eines Erlebnisses auf das Ich, auf das Subject, (reflexives) Bewußtsein des (functionellen) Bewußtseins.
Historisch wird das Selbstbewußtsein bald als ursprünglich, bald als Entwicklungsproduct, als unmittelbar oder als vermittelt angesehen, es gilt bald als Erfassung eines Transcendenten (s. d.), bald als Selbstrealität, bald als substantiale oder actuale Realität, bald als Erscheinung, Schein, bald als absolute Einheit, bald als gegliederte Vielheit (vgl. Ich). [Es folgt ein Überblick über die Geschichte des Verstehens.] Eisler: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, 1904
Ich (ego) bezeichnet für den Sprechenden oder Denkenden die eigene Person. Unter Person aber verstehen wir die individuelle und kontinuierliche Einheit des Bewußtseins, welche durch das Leben im Wechsel der körperlichen und geistigen Zustände und Tätigkeiten, die sich in demselben abspielen, fortbesteht. So bestimmt, heißt das Ich: individuelles Ich. Dieser Begriff des individuellen Ichs gründet sich nur auf das Gefühl des Zusammenhanges aller eigenen psychischen Erlebnisse. Die Realität dieses Ichs erscheint aber dem naiven Menschen, der über das erste Kindheitsstadium hinaus ist, so gewiß, daß die Formel: »so wahr ich bin« eine der stärksten Beteuerungen der Realität ist. Für den Unmündigen (d.h. das Kind, den Naturmenschen und den Ungebildeten) fällt dabei zunächst das Ich offenbar ganz mit dem Leibe zusammen, denn durch Gesicht und Getast, Gemeingefühl, Muskelempfindung und Schmerz wird es alsbald der Außenwelt entgegengestellt. Durch den Leib treten wir in Erscheinung, orientieren wir uns im Räume, treten wir mit der Welt in Wechselwirkung und vergewissern wir uns, ob wir wachen oder träumen. Er ist der Sitz unserer Vorstellungen, Gefühle und Bestrebungen. Das individuelle Ich ist also in erster Linie das leibliche Ich. – Allmählich aber lernt der Mensch, daß sein Ich nicht mit dem Leibe identisch sei. Denn dieser kann sehr wohl verletzt oder verstümmelt werden, ohne daß jenes sich dadurch ändert, und jenes kann an Tiefe, Umfang und Klarheit zunehmen, während der Leib verfällt. Infolgedessen sehen wir das Ich als den ideellen Kern unseres Wesens, als seelisches Ich, an, das seine lange Entwicklungsgeschichte je nach den verschiedenen Verhältnissen unseres Lebens hat. So schwer es auch ist anzugeben, was dasselbe eigentlich in einem bestimmten Moment sei, so drängt sich seine Kontinuität, Einheit und Identität jedem leicht auf; es ist zunächst die Summe aller unserer Lebenserfahrungen, die Seele selber. Die Existenz dieses empirischen Ichs spricht Cartesius (1596 bis 1650) in dem berühmten Satze aus: Cogito, ergo sum, Ich denke, also bin ich; d.h. ich bin ein Denkendes, folglich existiere ich als Subjekt des Denkens. Dieses Ich ist nichts körperlich, sinnlich Wahrnehmbares; es erscheint selbst nicht; ja auch seine Daseins-Äußerungen treten nicht äußerlich in die Erscheinung. Dritte nehmen nur körperliche Modifikationen wahr, welche ein äußerlicher Ausdruck dessen sind, was im Innern des Ichs vorgeht. Es ist zunächst nur sich selbst bekannt, im Selbstbewußtsein gegeben. Aber aus seinen Äußerungen beim Mitmenschen schließen wir von uns aus ebenfalls für sie auf ein Ich. Freilich nimmt dieses Schließen bald auch infolge unserer eigenen Erlebnisse, der Übung und der Verständlichkeit der Äußerungen fast den Charakter der Unmittelbarkeit an. Wirklich bewußt wird jedem jedoch nur sein eigenes Ich. Die Äußerungen des Ichs aber sind Empfindung, Gefühl, Sinnesperzeption, Vorstellen, Wollen und Handeln. Diese Akte treten nie unvermischt auf, sondern immer in Verbindung miteinander und sind zum Teil der Isolierung gar nicht fähig. Alle aber werden dem Ich im Bewußtsein offenbar; es ist also das Innewerden, das klare, innerliche Auffassen, Haben und Festhalten der objektiven und subjektiven Erscheinungen in ihrem Detail wie in ihrer Totalität die Grundeigenschaft des Ichs. Man könnte das Ich daher mit einem Lichte vergleichen, das sich ruhig, doch intensiv über die Gegenstände ausgießt, aber ohne einen Gegenstand sich nicht manifestieren kann. Dieses Ich gilt dabei als der Träger des Bewußtseins, nicht als das Bewußtsein selbst; auch erscheint der Inhalt des Ichs durch das Bewußtsein nicht vermehrt, sondern nur erleuchtet. – Das Ich ist zwar ein Individuelles, aber auch ein bei allen gesunden Menschen Verwandtes und gleichen Gesetzen Unterworfenes. Sein spezieller Gegenstand ist aber immer das eigene Selbst; in dieser Hinsicht heißt es Selbstbewußtsein oder reines Ich. Aber dieses Selbstbewußtsein, insofern es die Erfahrung des eigenen Ichs als Trägers des Bewußtseins zu sein vorgibt, ist eine Selbsttäuschung. Es existiert in Wahrheit nicht. Das Selbstbewußtsein besteht nur darin, daß die Lebensäußerungen des Ichs ein Gegenstand des Bewußtseins werden. Das Ich selbst – und das ist die Schranke des Selbstbewußtseins – ist uns nur durch seine Zustände und Tätigkeiten in der Erfahrung gegeben. Das Ich als Träger aller Bewußtseinsvorgänge, als Substanz oder Ursache unabhängig von seinen Zuständen, das reine Ich wird nie von uns erkannt. Wir erschließen es nur entweder als eine geistige Substanz oder als eine geistige Energie, als individuelle Seele, oder wie wir es sonst nennen, um das Ruhende in der Flucht der Erscheinungen um das Bleibende im Wechsel, um den Zusammenhang unseres individuellen Daseins zu erklären; und so gewiß uns im Bewußtsein ein Faktor des Daseins gegeben ist, der neben den Erscheinungen des materiellen Lebens ein Stück oder der Kern des Daseins ist, so gewiß ist das reine Ich doch auch nur die metaphysische Hypothese, durch die wir die innere Erfahrung abschließen, verallgemeinern und ergänzen. Kirchner-Michaelis: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe, 1907 – Erläuterung: Gemeingefühl, Lebensgefühl, bezeichnet die auf innere Zustände des lebenden Körpers sich beziehenden Empfindungen im Gegensatze zu den durch äußere Eindrücke hervorgerufenen.
Was ich in beiden Artikeln beachtlich finde, ist neben den begrifflichen Unterscheidungen die Tatsache, dass Selbstbewusstsein und Ich nicht als feste Größen behandelt werden, sondern als sich im Leben entwickelnde, wobei beim Ich auch Faktoren genannt werden, die dessen Entwicklung bedingen; und dann der Hinweis, dass es ein eigenständiges Selbstbewusstsein eigentlich nicht gibt. – Sie können auch noch die Artikel „Ich“ bei Kirchner-Michaelis und „Selbstbewusstsein“ in Eislers Handwörterbuch der Philosophie (1922) lesen.
Wenn man schaut, was heute zu unserem Thema geforscht und gelehrt wird, kann man vielleicht Folgendes zusammenfassend sagen: 1. Es gibt drei methodische Zugänge zum Thema: den am Erlebnisaspekt (Ich-Perspektive) orientierten, die kognitive Psychologie (Rolle bei der Informationsverarbeitung) und die Neurowissenschaften (welche Teilstrukturen des Gehirns wirken bei psychischen Prozessen mit) – die beiden letzten betrachten das Psychische aus der neuralen (natur)wissenschaftlichen Perspektive der 3. Person. (Dorsch.Hogrefe, Art. „Bewusstsein“) Ergänzend muss auf die aus dem Angelsächsischen stammende analytische Philosophie hinweisen, die sich im Anschluss an Wittgenstein am tatsächlichen Sprachgebrauch des Pronomens „ich“ abarbeitet. 2. In der Entwicklungspsychologie wird untersucht, wie sich das Selbstbewusstsein von frühester Kindheit an im Zusammenspiel mit anderen Menschen und der eigenen Körper- und Welterfahrung entwickelt. 3. Die Frage, wie die Kohärenz unserer Erlebniswelt entsteht, ist völlig ungeklärt.
Die Ich-Perspektive (in der Verflechtung mit anderen Personen)
Die sprachanalytische Philosophie (Sprachphilosophie, analytische) untersucht die mit dem Gebrauch des Pronomens »i.« einhergehende Funktion der Selbstreferenz des Sprechers sowie die damit verbundenen epistemischen Einstellungen, um u.a. auf diese Weise Anhaltspunkte für eine Klärung des Sachverhalts »Selbstbewusstsein« zu gewinnen. Nach Strawson ist nicht eine körperlose Ego-Substanz das ausgezeichnete Referenzobjekt des Ausdrucks »I.«, sondern der Sprecher, der mittels dieses Pronomens auf sich verweist. Folgt man Strawson, so ist die Idee einer reinen Ego-Substanz das Ergebnis einer Fehlinterpretation des Sachverhalts, dass die Selbstzuschreibung von Bewusstseinszuständen weder auf Beobachtung beruht noch hinsichtlich der »Identifikation« des Referenzobjektes fehlgehen kann. Diese beiden Besonderheiten im Gebrauch des Ausdrucks »i.« bei der Selbstzuschreibung mentaler Zustände berechtigen nicht dazu, auf eine distinkte Ego-Substanz zu schließen. Mit dem Pronomen »i.« wird also nicht identifiziert (wie etwa äußere Gegenstände identifiziert werden), sondern eine identifizierbare Person gemeint. Metzler Lexikon Philosophie: Ich (ausführlich eine Dissertation über die theoretische Entwicklung Wittgensteins ) In der Nähe dieser Überlegungen bewegen sich Uwe Meyer: Selbstbewusstsein und Ich-Bewusstsein und Kritina Musholt: Selbstbewusstsein als perspektivische Differenzierung (beide unbedingt lesenswert!).
Stufen der Entwicklung
Der gerade genannte Aufsatz Kristina Musholts gehört hierhin, auch der Artikel „Selbstbewußtsein“ im Lexikon der Neurowissenschaft. Damit ist zunächst die Entwicklung des Individuums gemeint, aber auch die Evolution der Gattung homo sapiens bzw. der Lebewesen:
In der Philosophie, Kognitionspsychologie und Neurowissenschaft bezeichnen Selbst- und Ich-Bewußtsein eine komplexe kognitive Eigenschaft oder Fähigkeit bzw. einen Sonderfall von Bewußtsein höherer sozialer Organismen, die eine spezielle Form des Wissens, der Repräsentation und der Zuschreibung ermöglicht. Selbst- und Ich-Bewußtsein sind nicht von Anfang an vorhanden, sondern entstehen ausgehend von angeborenen Dispositionen im komplexen Wechselspiel mit der physischen und sozialen Umwelt, und sie hängen von einer subjektiven Perspektivität infolge eines zentrierten Informationserwerbs durch die Sinnesorgane ab (Exterorezeption), von einer Körperwahrnehmung durch weitere Sinnesorgane (Propriorezeption) und durch die Erfahrung und Ergebnisse der eigenen Handlungen. Man kann unterscheiden zwischen: 1) Primäres Selbstbewußtsein (E primary self-consciousness): Es ist implizit und durch einen phänomenalen Gehalt der Meinigkeit gekennzeichnet, d.h. einen Sinn, sich selbst zu gehören (E sense of ownership). 2) Höherstufiges Selbstbewußtsein (E higher-order self-consciousness): Es ist explizit, reflexiv und begrifflich. Dazu gehören Selbstwahrnehmung oder Selbstbewußtsein im engeren Sinn (E self-awareness), Selbsterkennen (E self-recognition) z.B. im Spiegel (was nur bei Menschen ab etwa dem 18. bis 24. Lebensmonat, bei Menschenaffen und neuerdings auch bei Delphinen nachgewiesen ist; Spiegelbild-Erkennung), Selbstwissen (E self-knowledge) – ein spezifisches Wissen (de se-Attribution), über das man sich nicht täuschen kann wie z.B. über Wahrnehmungen oder über Sachverhalte, die externe Fakten betreffen – und Introspektion. Ich-Bewußtsein (E I-consciousness) ist eine besonders elaborierte Form dieses höherstufigen Selbstbewußtseins, die verbalisierbar, d.h. an Sprache gebunden ist, eine Perspektive der ersten Person und somit eine Subjekt-Objekt-Trennung ermöglicht und auf einem Selbstmodell (E self-model) basiert (Persönlichkeit und Personalität). Dadurch werden autonome Handlungen möglich (Wählen, Willensfreiheit), d.h. eine Selbstbestimmung, die nicht auf ein rein Reiz-Reaktion-bedingtes Verhalten reduzierbar ist. Außerdem entsteht ein autobiographisches Selbst, das auf dem episodischen Gedächtnis beruht und z.B. bei einer transienten globalen Amnesie vorübergehend erlischt. – Ein elaboriertes Selbstbewußtsein scheint in der Evolution bei Arten selektiert worden zu sein, die in komplexen Sozialgefügen leben, wo es z.B. darauf ankommt, die Aktionen der Gruppenmitglieder abzuschätzen, bei altruistischem Verhalten nicht ausgenutzt zu werden und sich selbst in den Hierarchien durch Bündnisse nach oben zu arbeiten und so den Fortpflanzungserfolg zu steigern. Rudimentäre Formen von Selbstbewußtsein und mentalen Fähigkeiten allgemein, ja des Nervensystems generell, scheinen dagegen eine Voraussetzung für die Motorik vielzelliger Lebewesen zu sein. Sensomotorische Repräsentationen und die Fähigkeit, kurzfristige künftige Bewegungen von Objekten in der Umwelt vorauszusehen und bei der Steuerung des eigenen Verhaltens zu berücksichtigen, sind nämlich wesentliche Voraussetzung für die Ausbildung komplexer Bewegungen. Das Selbst ist gleichsam die Zentralisierung dieser Handlungssteuerung; es muß aber nicht notwendig bewußt sein. Antonio Damasio unterscheidet daher zwischen unbewußtem Proto-Selbst sowie bewußtem Kernselbst und autobiographischem Selbst (siehe Tab.).
Stufen und neuronale Grundlagen des Selbst
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Proto-Selbst: Ansammlung von wechselseitig verbundenen und zeitweise zusammenhängenden neuronalen Mustern (Repräsentationen erster Ordnung), die den Zustand des Organismus von Augenblick zu Augenblick auf verschiedenen Ebenen des Gehirns repräsentieren. Wir sind uns des Proto-Selbst nicht bewußt. |
phylogenetisch alte Hirnstrukturen überwiegend nahe der Mittellinie, die an der Körperregulation und -repräsentation beteiligt sind: Hirnstammkerne, Hypothalamus, somatosensorische Rindenfelder, insbesondere rechtsseitig |
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Kernselbst: stabiler, einfacher, uns bewußter Teil nichtsprachlicher Repräsentationen zweiter Ordnung, der durch Modifikationen des Proto-Selbst durch Objekte (z.B. externer Gegenstand oder Körperzustand) hervorgerufen wird. Das Kernselbst ist Teil des Kernbewußtseins, das ganz in der Gegenwart verhaftet ist. |
Colliculi superiores im Tectum des hinteren Mittelhirn, cingulärer Cortex, Thalamus, einige präfrontale Rindenfelder; Modulation durch cholinerge und monoaminerge Kerne im basalen Vorderhirn und Hirnstamm sowie durch thalamocorticale Prozesse |
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autobiographisches Selbst: veränderliches, komplex strukturiertes, uns bewußtes und in der Regel (aber nicht notwendig) auch sprachliches Selbstmodell, das eine personale Identität konstituiert und auf dem episodischen Gedächtnis, vielen impliziten |
Anthropologische Bedeutung des Selbstbewusstseins
Für uns Menschen spielt Selbstwissen eine zentrale Rolle. Nicht als das, was uns als bewusstseinsfähige Lebewesen auszeichnet, sondern als das, wodurch wir rationale und selbstkritische Subjekte werden. Rational und selbstkritisch zu sein heißt beispielsweise in der Lage zu sein, sich selbst Fehler einzugestehen. Dabei geht es etwa darum, die eigenen Überzeugungen und Handlungen den bestehenden Tatsachen anzupassen. Um das tun zu können, reicht es nicht, die Welt abzubilden, um sie etwa mit den eigenen Handlungen zu vergleichen. Man muss auch noch erkennen, für welche Überzeugungen und für welche Handlungen die bestehenden Tatsachen Gründe liefern. Tatsachen liefern Gründe im Lichte bestimmter Ziele. Sind Überzeugungen auf Wahrheit ausgerichtet und Handlungen auf Nutzen, so liefert eine Tatsache einen Grund für eine Überzeugung, wenn sie für dessen Wahrheit spricht, und für eine Handlung, wenn sie für den Nutzen deren Wirkung spricht. Weiss ich nicht, was ich glaube und was ich tue, so kann ich nicht wissen, was ich stattdessen glauben sollte und was ich stattdessen tun sollte. So gesehen bildet Selbstwissen die Voraussetzung einer selbstkritischen rationalen Einstellung.
Schaut man sich allerdings die Sache etwas näher an, so erkennt man, dass Selbstwissen eigentlich mehr als nur eine Voraussetzung der selbstkritischen Rationalität bildet. Selbstwissen und selbstkritische Rationalität sind zwei Seite einer Medaille. Es ist nicht so, dass da mein Wissen über meine Überzeugungen und meine Handlungen liegt und dort meine kritische Einstellung dazu. Es ist eher so, dass ich Überzeugungen und Handlungen gerade als meine erkenne, insofern sie meine selbstkritische Rationalität zum Ausdruck bringen. Ich betrachte sie nicht nur als Reaktionen auf bestehende Gründe, sondern als meine Reaktionen auf Gründe, die für mich bestehen. Ich fühle mich für sie verantwortlich und bin gerade deswegen bereit, sie zu korrigieren, wenn sie mir falsch erscheinen. Im Selbstwissen präsentieren sich meine Überzeugungen und meine Handlungen als Tätigkeiten der selbstkritischen Rationalität.
Rational und selbstkritisch zu sein beinhaltet die Fähigkeit, sich selbst zu bestimmen. Ich bestimme, was ich glaube und was ich tue, im Lichte der vorgelegten Ziele und der vorhandenen Gründe. Am Ende bestimme ich, was ich von der Welt halte und wie ich bedenke, mich darin zu verhalten, indem ich mir immer wieder die Frage stelle, was ich glaube und was ich tue. Selbstwissen in diesem Sinn ist eine Form von Selbstbestimmung. G. Soldati: Selbstbewusstsein und Selbstwissen
Was in dieser Übersicht fehlt, sind die Arbeiten der sogenannten Heidelberger Schule (Dieter Henrich u.a.), deren Überlegungen in der Tradition des deutschen Idealismus stehen, welche aber nicht knapp zusammengefasst werden können (vgl. Aufsatz Manfred Franks). – Was man noch zur Kenntnis nehmen könnte:
http://www.protosociology.de/Download/Frank-Selbstbewusstsein.pdf („Selbstbewusstsein“ im Metzler Lexikon Philosophie)
https://www.spektrum.de/news/wer-bin-ich/1063967 (Wer bin ich? einfach, umfassend)
https://www.spektrum.de/news/wo-bin-ich/1185079 (Suche nach dem Selbst, neurophysiol., von Phil. angestoßen)
https://www.youtube.com/watch?v=o8-mkfW_3Eo (Gert Scobel: Was ist das Ich? ZDF 20‘, i.W. Searle, geschichtl.; gut, anschaulich)
https://www.forschung-und-lehre.de/zeitfragen/denkt-die-person-oder-das-gehirn-4667 (Metzinger: mentale Kontrolle ist eine Illusion, wir denken unkontrolliert)
https://www.ursachewirkung.com/leben/735-wer-ist-ich-was-ist-ich-warum-ist-ich (abschreckendes Beispiel: Verzicht auf wissenschaftliche Untersuchungen)
https://dewiki.de/Lexikon/Ich-Psychologie (Ich-Psychologie, u.a. Ich-Funktionen)
https://dspace.ub.uni-siegen.de/bitstream/ubsi/430/1/kwon.pdf (Selbstbewusstsein und Reflexion in der Philosophie Fichtes, Diss.)
Es gibt eine Regensburger Dissertation von 2010, und zwar von Marco Merk: Selbstbewusstsein im Deutschen Idealismus. Hier wird die philosophische Bedeutung des Selbstbewusstseins von Kant über Reinhold, Fichte (mit Schulzes Aenesidemus-Schrift), Schelling, Hölderlin, Fichte, Schelling zu Hegel verfolgt – leider weithin nur in größeren Zitaten und in einer banausischen Sprache, die einen beim Lesen verrückt macht.
Stolzenberg: Selbstbewusstsein, ein Problem der Philosophie nach Kant (1994)