D. Henrich: Die Grundstruktur der modernen Philosophie (Referat)

Kurzes Referat des Vortrags aus der Perspektive des Autors:

1. Von Hobbes stammt das Prinzip der Selbsterhaltung zur Legitimation des Staates wie als Prinzip der eigenen Lebensführung, wo es den Bestand des Begehrens sichert. Mit dem Prinzip der Selbsterhaltung stellt sich der Mensch gegen ein Selbstverständnis, das sich in einen sinnvollen Kosmos einordnet.

2. Newton hat gelehrt, dass jeder Körper in seinem Bewegungszustand verharrt, wenn keine Kraft auf ihn einwirkt; Selbsterhaltung ist also eine Kraft. Parallel steht bei Descartes der ontologische Gottesbeweis, dass Gott sich aus eigener Macht ins Sein bringt und erhält.

3. Zur Vorgeschichte des Begriffs: Aristoteles kannte die (Selbst)Erhaltung der Art als Ziel der Fortpflanzung; im Wechsel der gleichen Wesen ist etwas wie Beständigkeit erreicht. Mehr aber streben alle Wesen noch nach dem Grund des Guten, nach Gott (Thomas von Aquin). – Nach der Stoa ist jedoch jeder Geist in ihm selbst, in ihm lebt ein Teil des Urfeuers; dieser Erkenntnis geht voraus, dass man ursprünglich seiner selbst gewahr werden kann (syneidesis). Aus dieser Vertrautheit mit sich entsteht erst der Trieb nach Selbsterhaltung. So ist mit dem Prinzip des Selbstbewusstseins ein neues Element in die Theorie eingebracht worden.

4. Seit dem 16. Jh. verwandeln an der Stoa orientierte Leitvorstellungen die Sprache der Philosophie und die Grundorientierung des Denkens. Im 19. Jh. wird die Bindung der Selbsterhaltung an eine göttliche Weltvernunft aufgelöst.

5. Heideggers Deutung der Moderne einseitig aus dem cartesianischen Moment des Bewusstseins und der grenzenlosen Macht der Subjektivität ist falsch. – Moderne Philosophie: Der auf sich gestellte Mensch wendet sich gegen überkommene Bindungen, und er braucht einen Begriff vom unverfügbar Gründenden, der die Energie der Selbstbehauptung legitimiert.

6. Der Dynamismus des modernen Lebens erklärt sich (gegen Heidegger) daraus, dass der Mensch sich in einem offenen Feld von Erkundungen sich seiner Wirklichkeit versichern kann. Es gibt verschiedene Versuche, die moderne Grunderfahrung zu verarbeiten: 1) franz. Revolution, Marx, Comte (Baconismus); 2) Leibniz und Hegel; 3) Skepsis; 4) Materialismus.

7. Eine moderne Philosophie muss u.a. eine Theorie des mit sich vertrauten Bewusstsein entwickeln, die Genese von Selbst und Bewusstsein erklären, das Bewusstsein sich mit seiner Genese und sich selbst verständigen lassen. „Die Philosophen müssen wissen, daß ohne sie die Hoffnung auf ein befreites Leben vergeblich bleiben wird.“ Die Zuwendung zu östlichen Meditationsformen bietet keine Lösung unserer Probleme, weil dort letztlich das Bewusstsein suspendiert wird.

Poussin: Gewitterlandschaft mit Pyramus und Thisbe

http://www.staedelmuseum.de/de/sammlung/gewitterlandschaft-mit-pyramus-und-thisbe-1651 (Poussin: Gewitterlandschaft mit Pyramus und Thisbe, 1651) oder

http://loomings-jay.blogspot.de/2011/11/nicolas-poussin.html

Es wird ein Gewitter dargestellt, Sturm peitscht die Landschaft, der Blitz schlägt rechts in eine Burg ein – aber der See in der Mitte liegt ganz ruhig. Menschen fliehen vor dem Sturm und vor einem Löwen, mit dem sich Hirten vor dem See auseinandersetzen. Im Vordergrund liegt Pyramus am Boden, er hat sich mit dem Schwert getötet, weil er Thisbe vom Löwen getötet glaubte; Thisbe stürzt entsetzt auf ihn zu. Daraus ergibt sich, dass die Stadt links im Hintergrund Babylon ist, wie man dann auch am Babylonischen Turm erkennt.

Poussin war ein (Neo)Stoiker, das sei hier mir Reinhard Brandt (Philosophie in Bildern, 2000, S. 250 f.) vorausgesetzt. Nach der stoischen Affektenlehre sind Affekte Zeichen von mangelnder Vernunft und Beherrschtheit – Pyramus und Thisbe waren also Narren, zügellos von ihren Affekten bestimmt; voreilig urteilt Pyramus über das blutbefleckte Gewand, voreilig tötet er sich – der Betrachter soll über die Unvernunft der Liebenden reflektieren. Auch Thisbe, die sich gegen den Sturm stemmt, ist in ihrem Schmerz von Vernunft verlassen.

Der Löwe wütet über den Text der Vorlage hinaus weiter, die Hirten fliehen mit ihren Herden, ein Wächterhund traut sich nicht an den Löwen heran: Über die Bedeutung von Hirt und Wächterhund ist hier das politische Chaos dargestellt. In Europa war um 1650 politisch einiges los: Der 30jährige Krieg gerade beendet, in England Cromwell hingerichtet, Aufruhr in Polen, Aufstand in Neapel; auf dem Berg steht die Burg in Flammen und wird erneut vom Blitz getroffen: Die pflichtvergessenen Hirten, der bloß bellende Hund, die davonstiebenden Rinder – es ist die gleiche politische Erregung der Leidenschaften, die wir bei Pyramus und Thisbe sehen. Nur der Tempel links des Sees, das Heiligtum, steht in erhabener Ruhe da.

Und der See in der Mitte ist unbewegt. Der See spiegelt das Paradox, dass der stoische Weise inmitten aller Wirrsal die Seelenruhe bewahrt (tranquillitas animi). Poussin ist ein stoisch denkender Maler, der seine Bilder gedacht und geplant hat. Die stoische Theorie wurde jedoch im 18. Jahrhundert ad acta gelegt, im politischen Bereich trat die Theorie der Interessen an die Stelle der Affektenlehre.

http://www.bildindex.de/obj20110206.html#|home

http://www.sehepunkte.de/2009/02/13708.html

https://de.wikipedia.org/wiki/Nicolas_Poussin (Nicolas Poussin, 1594-1665)

http://www.romanum.de/latein/uebersetzungen/ovid/metamorphosen/pyramus_thisbe.xml (Pyramus und Thisbe, in Prosa)

http://www.gottwein.de/Lat/ov/ovmet04055.php (dito, in Versform)

https://de.wikipedia.org/wiki/Pyramus_und_Thisbe (dito, Zusammenfassung)

http://www.academia.edu/240562/Die_Affektenlehre_der_Stoa (Affektenlehre)

https://de.wikipedia.org/wiki/Interessentheorie (Interessentheorie)

http://blog.panosterz.de/?tag=theorie-der-interessen (dito, etwas schwer zu lesen)

Rubens: Justus Lipsius und seine Freunde

http://de.pluspedia.org/wiki/Datei:Rubens_-_Die_vier_Philosophen.jpg oder

http://syndrome-de-stendhal.blogspot.de/2015/07/stoisches-andachtsbild-rubens.html (Rubens: Justus Lipsius und seine Freunde“, ca. 1611)

Rubens hat das Bild vermutlich kurz nach dem Tod seines Bruders Philipp (1611) gemalt. Im Bild steht der Maler links, vor ihm sitzt sein Bruder Philipp, rechts von ihm der gemeinsame Lehrer Justus Lipsius, der bereits 1606 gestorben war, ganz rechts im Profil Jan Woverius, ein weiterer Schüler Lipsius’.

Den drei Sitzenden steht der eine Stehende gegenüber, der den Betrachter anschaut und so ins Bild einbezieht. Anderseits bilden die beiden Rubensbrüder mit den geöffneten Folianten eine diagonale Achse, die andere Diagonale besteht aus der Büste Senecas, Lipsius und den geschlossenen Büchern – in diesem Fall ist Woverius ausgeschlossen. Er zeigt auf eine Textstelle (vermutlich aus Seneca), die Lipsius wahrscheinlich gerade auslegt.

Vor der Büste Senecas stehen vier Tulpen in einer Vase: zwei offen, zwei geschlossen, vermutlich für die beiden toten und die beiden lebenden der vier Freunde; auch von den Büchern sind zwei offen und zwei geschlossen.

Es gibt ein Emblem zu dem Bild mit dem Titel: „Usus libri, non lectio prudentes facit.“ (Der Gebrauch, nicht die Lektüre eines Buches macht die Menschen klug.) Das könnte darauf anspielen (?), dass der Lektüre die tätige Umsetzung der Philosophie in der Politik folgen muss. Philipp Rubens wurde Stadtsekretär in Amsterdam statt Nachfolger seine Lehrer Lipsius als Professor.

Die Stoa ist präsent nicht nur in der Büste Senecas, sondern auch in der Säule, vor der Lipsius sitzt: Stoa = Säulengang. Lipsius hatte die Werke Senecas herausgegeben. Rechts von der Säule steht die Büste des römischen Philosophen, links sieht der Betrachter als einziger ein Stück Roms.

Auch die Freundschaft der vier ist dem stoischen Verständnis der Freundschaft verpflichtet: Sie schauen sich nicht an, sie sind in der Auseinandersetzung mit Senecas Schriften miteinander verbunden – Aristoteles hatte die Theorie vertreten, dass man nur einen einzigen Freund haben kann.

Indem der Betrachter durch den Blick des Malers ins Bild hineingezogen und in den Freundschaftskreis eingeladen wird, wird dieses als Bild aufgehoben – so Reinhard Brandt (Philosophie in Bildern, 2000, S. 240 ff.)

http://de.pluspedia.org/wiki/Peter_Paul_Rubens_%28Historisch%29 (Rubens)

https://de.wikipedia.org/wiki/Justus_Lipsius (Justus Lipsius)

http://www.health-academy.org/ha/_data/CPT_1-2005.pdf (Interpretation durch K. Giese)

http://rubensprojekt.wallraf.museum/2013/10/freundschaftsbild/ (Rubens: Selbstbildnis im Kreis der Mantuaner Freunde)